EAD-Talk über schaltschranklose Automatisierung von Beckhoff

Daniel Siegenbrink, Produktmanager für den Automatisierungsbaukasten MX-System, im Gespräch

Daniel Siegenbrink von Beckhoff

„Ingenieure müssen die Welt retten“, so lautet ein Leitsatz von Hans Beckhoff. In seinem Unternehmen werden seit Jahren neue technische Lösungen mit dem Anspruch entwickelt, Prozesse zu revolutionieren. Ein Beispiel ist der Automatisierungsbaukasten MX-System, der den Schaltschrank überflüssig machen soll. Daniel Siegenbrink ist bei Beckhoff der verantwortliche Produktmanager für das System. Im exklusiven EAD-Talk Interview hat er gezeigt, wie sehr die neue Technik die Anlagenautomatisierung vereinfacht, selbst für Hausmeister. Er stellt ungewöhnliche Einsatzmöglichkeiten vom U-Boot bis zum Spargelschälautomaten vor. Zudem wird ein Blick auf Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Heavy Metal auf Vinyl geworfen.

Seit mehr als 40 Jahren entwickelt Beckhoff regelmäßig neuartige Produkte. Eines dieser Beispiele ist das MX-System, das 2021 vorgestellt wurde und den Schaltschrank ersetzen soll. Können Sie das Prinzip bitte einmal kurz beschreiben?

Das MX-System ist ein modularer Automatisierungsbaukasten, der den klassischen Schaltschrank komplett ersetzen soll. Es nimmt die Automatisierungstechnik für Maschinen und Anlagen in den Fokus. Hier werden normalerweise Antriebe, I/Os, PCs und so weiter in einem Schaltschrank über Drähte verbunden. Wir wollten das alles mit einem neuen System vereinfachen. Ähnlich wie beim bekannten Baustein-System werden die einzelnen Komponenten ganz nach Bedarf aus dem MX-System-Baukasten ausgewählt, auf eine gemeinsame Grundplatte - die Baseplate - gesteckt und so verschiedene Konfigurationen zusammengestellt. Jedes Modul bringt sein eigenes Gehäuse mit. Am Ende entsteht wieder ein Gehäuseverbund, der die gleichen Eigenschaften wie ein Schaltschrank bietet. Damit wird der Schaltschrank überflüssig, weil seine Schutzfunktion in den einzelnen Modulen bereits enthalten ist.

Für das MX-System wurden jede Menge Komponenten von Baseplates über IPCs, Koppler und I/O-Module bis hin zu Antriebs-, Relais- und System-Modulen entwickelt. Ist das System damit vollständig oder gibt es hier fortlaufende Weiter- und Neuentwicklungen?

Das MX-System ist kein starres Gebilde. Es gibt ständig Weiterentwicklungen. Zum einen haben wir eine Roadmap, die wir abarbeiten. Aber auch Kunden geben hier immer neue Impulse. Der nächste Schritt wird sich in Richtung größerer Leistung bewegen. Auf der Interpack im Mai 2023 haben wir zudem Module zur Integration von Pneumatik- vorgestellt. Damit lassen sich nun auch Ventile von Festo und SMC dort einsetzen. Auf der Automatica im Juni haben wir dann gezeigt, wie sich unsere mechatronischen Systeme wie der Roboter Atro oder das Transportsystem XTS mit dem MX-System besser verbinden lassen.

Zudem gibt es spezifische Branchenlösungen, beispielsweise für Ex-geschützte Bereiche. Wir gehen fest davon aus, dass auch hier das MX-System Einzug halten wird. Die Nachfrage nach dem Automatisierungsbaukasten ist groß, eben weil das System ein universelles ist und nicht für eine einzelne Anwendung entwickelt wurde. Dementsprechend breit sind die Einflüsse, die uns immer wieder triggern, auch ganz neue Dinge zu machen. Ich gehe außerdem davon aus, dass die Kunden noch eine Menge Ideen an uns herantragen werden. Die Liste an Einsatzmöglichkeiten wird immer länger. Ich bin jetzt 49 und habe noch rund 20 Jahre bis zur Rente. Da bin ich optimistisch, dass uns noch genug Neues einfällt.

Gibt es bereits konkrete Praxisbeispiele, in denen Schaltschränke entsorgt und durch das MX-System ersetzt wurden?

Tatsächlich wurden in den zwei Jahren bislang keine Schaltschränke durch das MX-System ausgetauscht. Das liegt daran, dass wir bei Beckhoff Technologie immer früh vorstellen, um auch die Industrie darauf einzustimmen. Wir sehen das MX-System als disruptive Entwicklung an. Und die braucht eben eine gewisse Vorlaufzeit, bis sie im Markt Einzug hält. Man muss den Maschinenbauern ausreichend Zeit geben, sich wirklich Gedanken zu machen, wie sich diese neue Technologie ideal einsetzen lässt, um alle Vorteile auszuschöpfen. Mit ausgewählten Kunden sind bereits Tests gelaufen. Mit vielen weiteren Kunden planen wir schon konkret, dass deren nächste Maschinenreihen mit dem MX-System ausgeliefert werden. Sie rechnen für 2025/2026 damit, in Serie zu gehen. Also werden die Schaltschränke nicht direkt substituiert, sondern zukünftig weniger an den Maschinen verbaut.

Wir haben in der Beckhoff-Gruppe eine eigene Maschinenbaufirma. Hier läuft gerade das erste Projekt an, in dem wir das MX-System einbauen und das dem Markt in einer vollständigen Maschine vorstellen. An der 25 Meter langen Anlage kommen dann 13 MX-Stationen zum Einsatz. Ab Mitte nächsten Jahres wollen wir mit dem MX-System in den Baugrößen 1 und 2 in Serie gehen. Rund 120 Module sollen hier zunächst verbaut werden. Aktuell laufen viele Tests und Prüfungen sowohl in unseren internen als auch externen Laboren. Wenn die Ergebnisse so gut sind wie bislang,  sind wir guter Dinge, dass wir danach unsere Kunden zeitnah beliefern können.

Für welche Anwendungen wäre der Automatisierungsbaukasten überhaupt nicht eignet? Welche ist die „verrückteste“ Einsatzmöglichkeit?

Tatsächlich kann die Konstruktion zu Herausforderungen führen, wenn es beispielsweise in Verpackungs- oder Lebensmittelmaschinen an der einen oder anderen Stelle eng wird. Auch fordern hygienische Vorschriften, dass alles glatt und frei von Kanten sein soll. Momentan können wir das noch nicht bieten. Das hält Kunden aus dem Bereich aber nicht davon ab, mit uns über Lösungen zu diskutieren, beispielsweise eine Schutzhaube über das MX-System zu stülpen. So kann das System auch hier zum Einsatz kommen. 

Was wir auf den ersten Blick für verrückt halten, entpuppt sich bei näherem Nachdenken als interessante Anwendung. Ein Beispiel ist die Schiffsindustrie, die ganz spezifische Normen fordert. Die Anlagen sind immer groß. Es gibt im Maschinenraum enorme Platzprobleme. Aber die Anwender sehen im schaltschranklosen und kompakten System gerade hier den Vorteil, weil es sich einfacher unterbringen lässt. Auch wenn wir zu dieser Industrie bislang kaum Berührungspunkte hatten, erfüllen wir deren Anforderungen.

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